Ich möchte mich mal an ein sehr kontroverses Thema wagen und werde dabei sicherlich auf einige taube Ohren stoßen, aber vielleicht kann ich ja die Sichtweise einiger etwas erweitern. Dieses Thema ist nicht unbedingt aus dem Limited, hat aber auch dort seine Applikation.
Eigentlich möchte ich nur etwas mit dem Klischeedenken aufräumen. Man sieht immer wieder Kommentare wie „Burn ist einfach nur stumpf“ oder „Storm ist wie Solitär spielen“ oder „Midrange klatscht halt jede Runde irgendwas mit Value heraus, braucht ja gar keinen Skill“. Der ein oder andere Leser fühlt sich vielleicht schon ertappt und ich kann mich selbst auch nicht davon freisprechen in der Vergangenheit frei von solchen Vorurteilen gewesen zu sein. Aber genau dafür soll dieser Artikel sein. Über Schubladen und Klischees hinwegsehen zu können.
Wenn man wirklich will, dann kann man jede Strategie in Magic (oder auch anderen Spielen) soweit herunter brechen und negativ vereinfachen, sodass es kein Problem ist diese Strategie als minderwertig abstempeln zu können. Minderwertig ist dabei dann nicht unbedingt der Erfolg der Strategie/des Decks, aber im Sinne von einer etwas einseitig betrachteten Bewertung von dem subjektiven Anspruch eines Decks und einer unzureichenden Sichtweise auf die wirkliche Komplexität im Spiel.
Daher möchte ich erstmal klären, worin zumindest meiner Meinung nach die wirkliche Komplexität in Magic liegt. Das Zauberwort ist dabei recht simpel: Interaktion
Um zu erklären was ich damit meine, nehmen wir doch Modern Burn als Beispiel für ein Deck, welches gerne im Ruf steht „stumpf“ zu sein. Die Strategie bzw. das Deck dürfte den meisten ausreichend bekannt sein. Auf den ersten Blick könnte man sogar den Kritikern recht geben, dass Deck erfordert keine Wissen um besondere Regeln abseits der Basics und kann auch in unerfahrenen Händen eine akzeptable Winquote erreichen. Kreaturen auspielen, umdrehen und ein paar Burnspells an den Kopf werfen erscheint nicht grade komplex und diese Annahme ist auch so erstmal richtig. Ein Gegenbeispiel aus dem Modern wäre die Karte Gifts Ungiven. Ohne das Wissen nur 2 Karten finden zu „können“ fehlt diesen Decks ihre sichere „Kombo“ und ein unerfahrener Spieler könnte die Karte daher falsch nutzen. Dies wäre rein logisch betrachtet etwas komplexer als Burn, aber wenn man ehrlich ist, sobald man diese Eigenheit kennt ist es auch nicht grade überfordernd.
Grundsätzlich hat Magic wenig Decks, welche enorm viel spezielles Wissen um das Deck erfordern, welche ernsthaft erlernt werden müssen. Doomsday wäre meinem Wissen nach ein Beispiel dafür, wo man einen signifikanten Lernaufwand für das Deck benötigt, aber letztlich ist es weitestgehend das Erlernen seiner Möglichkeiten ( Piles). Magic erreicht im Deckbau generell keine Komplexität auf wirklich hoher Ebene, zumindest habe ich bisher kein Deck finden können, welches in sich schon so enorm komplex wäre und schwer verständlich, dass man schon immensen Aufwand bräuchte um es zu verstehen.
Die wirkliche Komplexität in Magic liegt in den vielfältigen Möglichkeiten der Interaktion.
Abseits allgemeiner Einschränkungen (Gegner spielt nicht mit, weil Manascrewed zum Beispiel) ist der Reiz des Spiels und der wirkliche Skill iim Spiel die Adaption in der Situation, in welcher der Gegner signifikante Gegenwehr leistet. Komplexität in Magic heißt die Möglichkeiten des eigenen Decks mit denen des Gegners zu vergleichen und zu beurteilen und dementsprechend zu handeln.
Die letzte Protour im Modern hat uns zb. viel Burn gezeigt und Spieler wie Lee Shi Tian (Top 8 Platzierung mit Burn) wurden mit schweren Geschützen an „Hate“ konfrontiert. Selbst mit Karten wie eigene Kor Firewalker im Mirror entstehen durchaus komplexere Situationen entstehen dank Skullcrack. Aj Sacher analysiert das dritte Spiel im Viertelfinale von Tian und auch wenn man seiner Analyse in einzelnen Punkten vielleicht nicht zustimmen würde, so wird doch deutlich wie viele Entscheidungen und mögliche Fehler ein solches „stumpfes Deck“ wie Burn mit sich bringen kann. Abseits dieses, meiner Meinung nach, sehr guten Videos ist es auch nicht schwer sich Szenarien zu kreieren, in denen es ein hohes Maß an Planung und Einschätzung der Situation erfordert. Zum Beispiel ist mit dem Aufmarsch der Company Decks ein Deck mit Maindecks Kitchen Finks populär geworden. Hier wird man halt vor die Wahl gestellt, wie man zb. sein Atarka's Command nutzen will. Muss man es offen halten um den Lifegain zu „countern“? Ist es vielleicht doch besser später den Combat zu gewinnen? Gewinnt man realistisch mit seiner Hand, wenn er jetzt die Finks hat? Die richtige bzw. falsche Entscheidung entscheidet oft genug über Sieg und Niederlage.
Je mehr Karten mit Instantspeed, Modi und geringeren/alternativen Manakosten ein Deck enthält, desto mehr komplexe und vielfältige Entscheidungen muss man treffen und wie schon die Videoanalyse zeigt ist Burn da letztlich alles andere als wirklich stumpf. Die Struktur des Decks, seine Stärke im aktuellen Meta usw mögen Fehler vielleicht öfter verzeihen als andere Decks, aber durch die enorm lineare Struktur des Decks ist die Möglichkeit von kleinen Fehler auch bedeutend höher.
Der Blog soll natürlich nicht dafür da sein um Burn als etwas anderes zu verkaufen als es ist. Es ist ein lineares Deck, welches zu einem gewissen Teil der Zeit seine Hand ausspielt und gewonnen hat. Aber dadurch ist es nicht selbst ein stumpfes Deck, es spricht viel mehr dafür, dass auch verschiedenen Gründen der Gegner nicht dazu in der Lage war wirklich Gegenwehr zu liefern. Wirklich stumpf ist ein Deck nur, wenn man faktisch keine Entscheidungen treffen muss und das trifft wirklich auf so gut wie kein Deck im Tuniermagic zu. Boggels kommt dem noch am nöchsten, aber selbst das Deck spielt eine gewisse Menge Instants und hat eine niedrige Kurve, sprich die Sequenzierung seiner Spells erfordert eine korrekte Erfassung der Spielsituation. .Wirklich stumpf wären lediglich reine Kreaturendecks ohne irgendeine Form mit dem Gegner zu interagieren, abseits des Angreifen-Blocken Teil des Spiels und es gewinnt einfach derjenige, der mehr/bessere Kreaturen zieht.Fragt euch selbst mal, wann ihr abseits eurer Anfängertage am Küschentisch so gespielt habt?!
Die Frage wäre jetzt, was nützt diese Erkenntnis abseits vielleicht etwas mehr Respekt vor dem lokalen Burn/Infect/Storm-Spieler? Der Nutzen liegt darin, dass ihr eure Entscheidungen auch von diesem Klischee befreit. Dank Bekanntschaften in den Communities, großem Kartenpools usw. ist es für viele möglich eine gewisse Freiheit zu haben in der Deckwahl für ein Turnier. Man sollte für sich selbst dann auch alle Gelegenheiten nutzen und sich nicht von verqueren Vorurteilen blenden lassen, dass richtige Deck zu spielen für das entsprechende Tunier. Wie schon am Anfang erwähnt, war ich früher auch von falschen Vorurteilen befallen. Ich hätte damals auch nie in Erwägung gezogen ein Deck wie Burn auf ein großes Tunier zu spielen (fair enough, Constructed ist das eh eine Weile her ^^), weil ich dem Irrglauben erlegen war mit einem Deck für das „längere Spiel“ einen eventuellen Skillvorteil besser ausnutzen zu können. Das ist aber Unsinn, wenn Burn dann die bessere Wahl für das Tunier ist, dann sollte mich kein dummes Vorurteil darin hindern es zu spielen.Grade der Erfolg von Burnstrategien auf den letzten Protouren in 2 verschiedenen Formaten war für mich Anlass genug meine Sichtweisen zu überdenken.
Ein anderer Nutzen daraus ist es seine Ergebnisse im Limited/Draft zu verbessern. Es ist eine allgemeine „Falle“ seine präferierte Strategie/Farbe als offen zu sehen, wenn man Karten aus entsprechender Kategorie im Zweifelsfalle immer den Vorzug gibt oder stärker bewertet als es diese wirklich sind. Ich möchte dies anhand eines Beispiels erläutern.
Solange Khans mit im Draftformat war, hatte ein Spieler und regelmässiger Drafter eine sehr große Tendenz Sultai zu forcieren bzw. immer als „offen“ zu sehen, fast unabhängig der tatsächlichen Lage. Abgesehen von der schwankenden Qualität seiner Sultaidecks zwischen den Wochen wurde dies enorm auffällig in einer, in gewisser Weise, extremen Situation. Mit Fate als erstem Pack öffnete ich ein Pack mit einem Foil Torrent Elemental, Silumgar, the Drifting Death und Elite Scaleguard und besagter Spieler saß direkt links neben mir, ich würde ihm also direkt passen. Nach langem eigenem Überlegen über den Pick entschied ich mich letztlich für das Elemental und war recht neugierig über seine Entscheidung dann. Was er mir später sagte war umso erstaunlicher: Trotz eines weißen Firstpicks hat er dennoch Silumgar genommen über den Scaleguard. Während dies vertrettbar gewesen wäre als „Splashbare“ Karte in U/W oder B/W dann, versucht er aber auch Sultai zu draften dann, obwohl ich es cutte und er dafür keine wirklichen Signale bekam.
Natürlich ist das nur ein Beispiel. Besagte Person ist ein solider Spieler und guter Drafter in der Regel, es war nur sehr interessant zu sehen wie seine Präferenz ihm manchmal Scheuklappen aufsetzt und dann letztlich seinem und meinem Draft geschadet hat.
Letztlich ist es natürlich okay gewisse Präferenzen zu haben. Man muss/soll ja vor allem Spaß am Spiel haben und wenn man das nur mit 28 Länder + 1 Wincon haben kann, dann ist das wohl so. Aber die meisten Spieler haben einen größeren Spielraum für Decks, welche sie spielen können/wollen und wenn man seinen eigenen „Spike“ in sich etwas aus dem Käfig lässt, kann das euren Ergebnissen sicherlich nicht schaden. Zumindest sind schlechte Vorurteile kein guter Grund, also wählt das richtige Deck fürs richtige Meta und pickt die beste Karte im Pack bzw. draftet die offene Farbe/Stragie anstatt auf alten Gewohnheiten zu beharren.
Und vor allem lasst den Unsinn mit "Deck xy ist so stumpf omg", weil eurer Deck nicht dafür gerüstet ist mit besagter (linearer) Strategie umzugehen und daraus ein tatsächlich komplexes Spiel daraus zu machen. Die meisten (linearen) Tunierdecks selbst haben nämlich eine Vielzahl an Entscheidungen und Komplexität zu bieten
Mfg Xardas
- PHF, Haakon, Geißel der anderen, Schiggy und 11 andere haben sich bedankt
Cool
Aber dass Bogles ein interaktionsloser Scheißhaufen ist und sich die Spieler dieser Decks meine Verachtung verdienen (Natürlich nicht zu 100% ernst zu verstehen ) entspricht einfach der Wahrheit!