





Spielst du noch oder grindest du schon?
Immer wieder und immer mehr wundere ich mich darüber, woran viele meiner Mitmenschen in ihrer Freizeit Spaß finden. Egal ob Magic, Games oder Sport... überall geht der Trend zum stumpfen Ackern und Fleißsternchen sammeln.
Konkreten Anlass für diesem Blog-Eintrag lieferte mir vor vier Wochen der Turnierbericht von Dennis_Königsmark zu seiner Final-Platzierung beim MKM Series Modern-Turnier in Maintal:
Die Vorbereitungen für den Modern Grand Prix Kopenhagen (25.05.2017) liefen auf Hochtouren. Die Semesterferien kamen gerade passend (...) Die MKM Series in Frankfurt, die schon in der zweiten Woche der Vorlesungszeit liegt, sollte mir quasi als Abschluss des Trainings dienen (...).
Zurück zum Training auf MtGO – vier Wochen Freizeit??? Es eskalierte komplett – für diese Zeit wurde MtGO beinahe zu meinem Beruf und ich verbrachte knapp 10h am Tag damit Modern Competitive Leagues zu spielen. Ich sag’s euch – kaum etwas ist frustrierender und langweiliger.
Das ist einfach so weit von meiner Vorstellung von Freizeit entfernt, dass ich beim Lesen nur den Kopf schütteln konnte. Warum tut man sich sowas an? Wie groß muss der Glücksmoment sein, der das rechtfertigt?
Zur Klarstellung, ich gönne dem guten Dennis seinen Erfolg aus vollstem Herzen und dieser Text dreht sich auch gar nicht um ihn im Speziellen. Ich kenne auch Leute, die jede Woche bis zur Vergasung das gleiche Legacy-Matchup testen, und kann es genauso wenig verstehen. Die meisten Fragen in diesem Eintrag sind nicht rhetorisch gemeint und ich hoffe auf eure Meinungen dazu in den Kommentaren.
Back to Topic: Trotzdem ist der Bericht meiner Meinung nach ein krasses Beispiel für die Verbreitung der Grind-Mentalität. Nur mal zum Vergleich: Mit 280 Stunden investierter Arbeit könnte man (bisschen Talent vorausgesetzt) problemlos Spanisch, Einrad-Fahren oder Programmieren lernen und davon jahrelang profitieren. Stattdessen entscheiden sich Leute, Magic so auf die Spitze zu treiben, dass sie sich irgendwann zum Zocken zwingen müssen, nur um die Aussicht auf eine persönliche und/oder materielle Belohnung zu ergamblen. In unserem Beispiel kann man sich natürlich vollkommen legitim auf den Standpunkt stellen, dass der Erfolg Dennis recht gibt und die ausführliche Vorbereitung ihm bestimmt dabei geholfen hat. Aber 1. genauso hätte ihm die Varianz in die Suppe spucken können und er wäre 1-2 Drop nach Hause gegangen. "Casten sie zu hart, topdeckst du zu schwach." Und 2. hätte er vielleicht auch ohne große Vorbereitung Top 8 gemacht, weil er sowieso schon lange gut und erfolgreich Modern spielt.
Wozu also der extreme Grind? Klar, ausführliches Playtesting verschafft mir einen wichtige Einblicke ins Meta, ermöglicht eine geschickte Deckwahl und zeigt mir die Stärken und Schwächen meines Haufens. Das erhöht die Erfolgschancen um x%. (Wieviel x ist kann ich schlecht abschätzen, es wird nicht linear von t abhängen.) Aber die meisten Leute, die extrem viel Zeit in Magic stecken, fangen ja nicht bei null an, sondern haben schon jahrelange Erfahrung mit Magic, schon einen grundlegenden Überblick über das Meta (insbesondere bei Modern und Legacy) und meistens auch schon ein oder mehrere Decks, mit denen sie gut vertraut sind. Auf dieser Stufe oder noch davor höre ich persönlich in der Regel mit dem Vorbereiten auf und gehe einfach raus Turniere spielen.
Was mir dann natürlich fehlt, sind detaillierte Matchup-Analysen und Automatismen für bestimmte Spielsituation oder beim Sideboarden. Da stellt sich mir jedoch die Frage, will ich das überhaupt? Will ich alle möglichen Matchups und Spielsituationen durchpauken, um immer eine vorgefertigte Lösung aus dem Hut ziehen zu können? Will ich erfolgreich sein durch Fleiß oder weil ich das Leben in der Lage beherrsche (und genieße). In einer alten Werbung preisen sie Magic an als "the place where fun involves thinking, imagining, doing (...) All you need to play is a brain, a deck and a friend." Nach einem Turnier mit sechs Runden ANT raucht mein Brain zwar vom vielen Thinking, weil ich in fast jedem Spiel die Line für meine Combo suchen muss (ohne sie vorher schon zig mal gesehen zu haben). Dafür lerne ich auch durch jedes Spiel dazu und habe außerdem jedes mal ein Erfolgserlebnis, wenn ich meinen Gegner erfolgreich vom Tisch fege. Unbekümmertes Learning by Doing. Würde ich diesen Lernprozess in eine "frustrierende und langweilige" Testsession verlagern und im Turnier nur noch automatisierte Kartenfolgen runterspulen, wo bliebe da noch der Spaß?
Ich müsste mich extrem übers Gewinnen freuen und dürfte mir das gleichzeitig nicht durch (zwangsläufig auch passierende) Niederlagen verhageln lassen. Oder ich bin Profi und Gewinnen ist meine Lebensgrundlage, aber das wäre ein ganz anderes Thema. Hier geht es um Freizeit.
Mal ein bisschen weg von unserem Beispiel und der persönlichen Turniervorbereitung, geht Magic auch auf anderen Ebenen den Weg des Grinds. Bis 2012 hatten alle Spieler mit DCI-Nummer ein ELO-Rating. "The Elo rating system is a method for calculating the relative skill levels of players in competitor-versus-competitor games." Man erhält oder verliert Punkte, je nachdem ob man gewinnt oder verliert und wie stark der Gegner bewertet ist. Nur durch sehr viele Siege und wenig Niederlagen kam man hoch hinaus. Vergleicht das mal mit den 2012 eingeführten Planeswalker-Punkte-System. Um da die Hürden für Meisterschaften und Byes zu überspringen, muss ich einfach nur besonders viele und hoch-multiplizierte Events spielen, und das nicht mal besonders erfolgreich. Augen zu und Durchgrinden genügt. Nach dem alten System hätte man sich dagegen durch stumpfes PTQ-Abklappern eventuell sogar sein gutes Rating versaut, wenn man nicht aufpasst. Das war auch nicht perfekt, aber hatte zumindest in meinen Augen deutlich mehr Aussagekraft über die Skills eines Spielers.
Außerdem denke ich, dass die zunehmende Popularität von Magic Online den Hang zum Grind befördert. Damit brauche ich zum Spielen den Freund aus der Werbung nicht mehr. Ich kann 24 Stunden am Tag alleine vorm Rechner zocken, wenn ich das will. Und anscheinend stehen viele Leute drauf. Mein Fall ist es nicht. Außer den technischen Mängeln und dem doppelten Bezahlen stört mich am Online-Magic, dass die soziale Komponente verloren geht. Raus gehen, Menschen treffen, gemeinsam Spaß haben. Ein bisschen "LOL" und "GG" sind in meinen Augen kein Ersatz dafür. Magic Online rückt Magic in die Nähe anderer Videospiele und Videospiele sind sowieso eine Hochburg des Grindens.
Auch beim Gaming habe ich den Eindruck, dass heute mehr und stumpfer geackert wird als früher für Achievements, Equipment, Perks, Crafting, Kosmetik und was weiß ich was es noch gibt. Das hat früher alles keine oder nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Was will ich auch bei beschissener Pixel-Optik aufhübschen. Früher stand man den K®ampf meiner Meinung nach meistens durch um die Geschichte voranzubringen oder zum Endgegner zu gelangen. Das war nicht selten grenzwertig frustrierend. Ich erinnere mich da z.B. an die Spielzeug-Helikopter-Mission bei GTA Vice City oder das Autorennen bei Mafia. Mewtu ohne Masterball fangen (weil ich den ungeduldig für einen der Vögel verballert hatte) war ebenfalls Uaaarghhh. Aber, wie gesagt, all diese Aufgaben meisterte ich (bis auf das Autorennen bei Mafia, das musste mein Bruder erledigen), weil ich das große Ziel erreichen wollte. Die Geschichten von Tommi Vercetti und Tommy Angelo bis zum großen Finale erleben. Alle 150 Pokemon fangen.
Die Diablo-Reihe ist das perfekte Beispiel wie sich alles verändert hat. Um in Diablo I den Herrn der Hölle mein Schwert schmecken zu lassen, musste ich mit dem gleichen Helden gleich ein paar mal von vorne starten, weil ich an mehreren Stellen nicht mehr weiterkam. Aber irgendwann kam das große Finale im 16. Level. Und danach war Schluss. Ich schaute mit großer Genugtuung den Abspann und das Spiel flog wieder von der 1GB-Festplatte um Platz für etwas Neues zu machen. Der Nach-Nachfolger Diablo III dagegen setzt einem (trotz tollen Videos) nur eine dümmliche Story ohne Atmosphäre und einen Haufen Fallobst vor die Nase. Wenn man das Spiel "durchgespielt" hat, sind vielleicht gerade mal Hälfte der Fähigkeiten der Helden freigeschaltet. Dafür warten geschätzte 28 höhere Schwierigkeitsgrade, irgendwelche bunten Rüstungen zum Sammeln und Craften oder was auch immer, "Paragorn"-Level, Überbosse, Achievements, undundund... Ich habe nicht mal eine Vorstellung davon, wie viel Zeit ich noch investieren müsste, aber es wird um Größenordnungen mehr sein, als ich bis zum Endgegner gebraucht habe. Und wenn genügend Leute das Maximum erreicht haben, haut Blizzard den nächsten Patch mit neuen Over-Über-Bossen raus. Korrigiert mich, wenn ich falsch liege, aber es warten keine neuen Stories oder Kampagnen mehr, oder? Nur noch
Der Hang zum Grind macht übrigens nicht beim Spielen halt. Horden von Menschen prügeln in den Fitnessstudios ihre Wiederholungssätze durch oder reißen am Rheinufer die Kilometer runter, während die meisten Mannschaftssportarten händeringend nach Nachwuchs suchen. Stupides Body-Leveln statt irgendeiner anspruchsvolleren Art sich zu bewegen. Das finde ich viel besorgniserregender als die Spielerei, weil unserer Gesellschaft und vor allem den jungen Menschen dabei wirklich was verloren geht.
Die Welt hat sich weitergedreht.
You can't be king of the world
If you're slave to the grind
Skid Row - Slave to the Grind
- King Suleiman, Fallen Azrael, hagebutte und 10 andere haben sich bedankt
Muskelaufbau Training ist weder hirnlos, noch stupides Leveln. Zudem profitierst du -wie beim Spanisch lernen- auch dein Leben lang von gutem Training. Ich kann nach 2 Jahren Übung immer noch keine perfekt-sauberen Pistol Squats, was Technik angeht. Saubere Technik ist viel Beobachten und austechen. Alles andere als hirnlos. Du musst dich ständig selbs beobachten. Zudem gibt es zahlreiche Komplexübungen wie Turkish get ups.
Oder wie es ein Russe zu sagen vermochte: "Mindless Lifting is for losers".
Und Recht hat er! Zudem ist Selbstkontrolle, Fleiß, Willenskraft durchaus ein mitskalierendes Skillset.
Außerdem ist dein Trainingnach ner Stunde beendet, und nicht nach 10 Stunden. Meins ist sogar nach 20 Minuten durch. Man muss weniger Trainieren, als man gemeinhin annimmt. Online Grind hat ganz andere Ausmaße. Die sind nämlich pervers, da hast du vollkommen Recht!
Kann man mit online Grind einfach nicht vergleichen, da es einfach mehr Sinn hat, als bloß das subjektive Gefühl.
Was Videospiel Grind angeht, muss ich dafür zustimmen: Ich könnte mir nicht soviel Zocken aufeinmal reintun. Bei Hearthstone war mir der Legendgrind zu krass, das hat alles kein Spaß mehr gemacht. Vor allem, wenn man vom Spiel durch Quests zum Grind gezwungen wird, kann ich mir das nicht reintun.
Letztendlich muss das aber jeder für sich entscheiden, wenn mir aber etwas GAR KEINEN SPAß machen würde, hätte ich auch keine Kraft für etwas prinzipiell sinnloses. Habe mir, als ich Sweep Picking auf der Gitarre gelernt habe auch ordentlich grind reingetan, das ist aber nicht so sinnlos wie Koreaner Games grinden. Die Technik kann ich jetzt in meinen Songs einbauen und irgendie was Reales damit tun. (:,
Unterm Strich: Danke für den Eintrag, warum Leute sich 10 Stunden Spaßlos Modo reintun weiß ich auch nicht. Vllt. Sind die ja auch einfach....süchtig? Kann ja sein.
€: BOAH AUF NEM TABLET SCHREIBEN IST DIE HÖLLE!