Contructed ist eine Schlacht, EDH ist Krieg!
Casual EDH Commander
Ist EDH noch Casual?
Das dachte ich während so mancher Runde, die eigentlich nur ein entspannter Feierabendausgleich sein sollte. Stattdessen: Einmal nicht aufgepasst, und alles, was ich über den Boardstate noch sagen konnte, war "Hey, da liegt ein Haufen bunter Karten!"
Wer nicht weiß, wovon ich rede, der baue (oder kaufe) sich doch einfach mal eines dieser 100-Karten-Ungetüme, gespickt mit überteuerten Synergien und unüberschaubaren 5-Karten-Combos. In welchem Format spielt man denn sonst Doubling Season und Cathars' Crusade und greift mal eben mit seinen Saprolingen für 200 Schadenspunkte an? Wo berührt Reveillark in einem Zug 20mal den Friedhof, während alle Spieler mal eben ihre Decks ziehen?
Wo dauert eine Runde so lange, dass man gemütlich sein Bier/Bionade trinken, zum Rauchen/frische Luft schnappen nach draußen gehen und eine Tüte Chips/Reiswaffeln verspeisen kann (und dann, wie beschrieben, erstmal wieder Herr der Lage werden muss)?
Ich kann mich noch grob erinnern, dass meine längste Runde EDH ungefähr 4 Stunden gedauert hat. Es wurden irgendwann die Praetor's Counsel heraugeholt, gefolgt von diversen Elixir of Immortality-Effekten, sodass jeder Spieler sein Deck beinahe zweimal gezogen hatte. Shahrazad ist nichts dagegen.
Spaß machte das schon lange nicht mehr, es wurde zur Arbeit. Ankämpfen gegen die Varianz. Die eine Combo ziehen, die irgendwo im Deck schlummert. Sowas wie Eye of the Storm + Time Stretch. Nur um das Spiel noch länger zu machen.
Ist das noch Casual?
Kennt jemand von euch das Brettspiel Game of Thrones zur gleichnamigen Serie zum gleichnamigen Buch?
Wer jetzt nicht Game of Thrones an sich kennt: Lest verdammt nochmal die Bücher, oder schaut wenigstens die Serie. Aber zurück zum Spiel: Es ist eine monströse Mischung aus Risiko, Die Siedler von Cathan und Quartett. Wir haben uns immer kurz nach mittags getroffen, zu fünft oder meistens zu sechst. Das Spiel beginnt gemächlich, wird dann aber mit jeder der zehn Runden dermaßen komplex, dass unsere "Sessions" manchmal 6+ Stunden gedauert haben. Es hat geschlaucht, auch weil man ständig seine Züge überdenken, seine Ressourcen checken und schauen musste, wie die eigenen Karten gegen die der Gegner stehen.
Ich fühlte mich in diesen Spielen immer an EDH erinnert, vor allem wegen der komplexen Spielsituationen, in denen man weiß, dass man verloren hat, aber wahrscheinlich erst in 10 Zügen aus dem Spiel genommen wird.
In denen man da sitzt, und wartet, dass die anderen ihre Züge machen. An denen man als Außenstehender im Laden neugierig vorbeiläuft, dann noch einmal und man in zwei Stunden denkt: "Hey, die spielen ja immer noch."
Die größte Gemeinsamkeit jedoch ist Diplomatie. Dieser Aspekt fällt beim 1 gegen 1 völlig heraus, hier geht es straight forward ums Gewinnen. Nicht so hier. Bei Die Siedler ging es noch um einfaches Handeln mit Rohstoffen, wobei auch hier provozierte Feindschaften über Runden hinweg das Spiel bestimmen konnten. Bei Game of Thrones und EDH wird mit Sympathien gehandelt, Angriffs- und Friedenspakte geschlossen und wieder gebrochen. Man spielt nicht gegen einen, sondern gegen mehrere Gegner und ist auf dem Papier von Beginn an in der Unterzahl.
Über die Feinheiten der Diplomatie in Multiplayer-Partien zu philosophieren, ist an dieser Stelle wahrscheinlich zu viel verlangt. Das haben andere Blogger sicher schon an anderer Stelle besser gemacht. Die Sache ist nur, dass diese Kunst in keinem Regelbuch und keinem Turnierguide steht, sondern auch von Spielertypen und Tagesform abhängen kann.
Nun aber wieder zu etwas Konkretem:
Ich bin mit Commander angefangen, weil ich gerne Decks baue. Ich habe einen Stapel spielbarer Karten zuhause, den ich mir immer wieder durchsehe und das nächste Deck plane. Leider komme ich aber in letzter Zeit zu selten zum Spielen, und hier offenbaren sich die Schwächen meiner 100-Karten-Haufen.
Wie viele Spiele muss ich machen, um das volle Potential meines Decks zu erkennen? Wenn ich ein Spiel in der Woche oder gar im Monat machen kann und dann trotz Spoiler-Mulligan wegen Manascrew rundenlang herumdümpel, dann ist das enorm frustrierend. Wie soll ich denn wissen, ob 38 oder 39 Länder richtig sind, wenn ich nicht auf Erfahrungswerte zurückgreifen kann? Wie soll ich eine Manakurve für ein Deck optimieren, wenn ich nicht weiß, wieviel Mana ich in Runde 20 habe?
Ich hatte Freitag die Situation, dass ich das Spiel auf 20 Mio Leben verloren habe. Weil ich das Format gnadenlos unterschätzt habe. Ich bin von 60-Karten Constructed ausgegangen, und da verliert man nicht so einfach auf 20 Mio Lebenspunkten. Aber wenn der Gegner Boundless Realms und Memnarch hat, gefolgt von 5 Runden Hilflosigkeit meinerseits und einem Blue Sun's Zenith von ihm auf mich für 200, kann ich auch gerne 20 Zillionen Leben haben.
Ich glaube, meine Decks sind zu fair. Ich habe zu viel Constructed gespielt. Meine Decks wollen eine Manakurve von 1-6 haben, wollen in 50 Minuten gewinnen und wollen am liebsten mit einem einzigen Gegner interagieren. Aber was ist, wenn mehrere Gegner an allen Fronten attackieren? Was ist, wenn ich keine 5-Karten-Combo habe, die in Runde 30 einen Softlock erzeugt?
Ich bin wieder da angelangt, wo ich am Anfang war: Ich muss die Mechaniken einer Multiplayer-Runde erst wieder lernen.
Oder einfach aufhören, und nur noch eins gegen eins? Irgendwie wirkt so ein Turniermatch für mich mittlerweile überschaubarer, fast entspannter. Fast "Casual"...
- Ghoul, AngelHunter, Nagbratz und 7 andere haben sich bedankt
Schöner Beitrag, ich kann genau nachvollziehen wovon du sprichst ;-)
Erst vorgestern hatten wir auch mit nur 4 Spielern eine 4 Stunden-Partie EDH. Aber genau das macht mir Spaß! Warum?
Wir haben bei uns gewisse Regeln eingeführt. Natürlich machen solche Spiele keinen Spaß, wenn der Gegner irgendwann unendlich Mana/Leben/Züge hat, deswegen haben wir für uns ausgemacht, dass Infinite-Combos tabu sind.
Außerdem haben wir uns jeder eines der neuen Commanderdecks gekauft. Klar sind die nicht übermässig stark aber sie sind sehr ausbalanciert, auch nachdem wir einige Karten ausgetauscht haben.
So macht dann auch eine 4 Stunden Partie Spaß, wenn die "Führung" ständig wechselt, wenn um Allianzen und Nicht-Angriffspakte gefeilscht wird, wenn man sich von 5 Leben wieder auf 70 Leben hocharbeitet, wenn einem die Spells um die Ohren fliegen und man immer wieder doch die genau passende Antwort auf der Hand hat und dann vom letzten totgeglaubten Gegner doch noch in einem epischen Comeback-Win besiegt wird. Da macht selbst das Verlieren Spaß.
P.S.: EDH mit Planechase ist noch kranker :-D