Internetforen im Zeitalter des Postfaktischen
Egal wo man sich derzeit im Internet umblickt: Es regiert das Postfaktische – und das macht mich nachdenklich. Da posten dann alterssenile Rechtsradikale mit einem CDU-Parteibuch (in ganzen Worten: „Erika Steinbach“) lustige Bilder eines in 20 Jahren vermeintlich überfremdeten Deutschlands („Obacht! Da kommt der böse Ausländer!). Da zündeln PEGIDA, AfD und wie sie alle heißen munter vor sich hin und tatsächlich finden sich sogar in meiner bisher sicher geglaubten Filter Bubble inzwischen Menschen, die kommentarlos fremdenfeindliche Beiträge teilen. Und ich stehe als das ehemalige Kind dieses digitalen Zeitalters, das inzwischen „alt“ geworden ist, nur hilflos daneben und denke: „Kann mal bitte jemand das Feuer da löschen? - Das ganze Haus fängt bald an zu brennen!“
Nur verständlich erscheint es da, dass ich mich mit meinen 31 Jahren lieber in den sicheren Kosmos eines Internetforums flüchte. Hier ist die Welt noch in Ordnung. Hier bin ich groß geworden. Vor etwa 20 Jahren las ich dort erstmals über Diablo 1, wenig später kultivierte ich meine oGame-Sucht darüber und immer wieder waren mir Foren ein sicherer Hafen, wenn ich mich wirklich für ein Thema interessierte, mich vernetzen und informieren wollte. Auch Magic ist über die Jahre hinweg zu solch einem Thema geworden und dieses Forum damit zu einem ständigen und liebgewonnenen Wegbegleiter.
Doch ein Blick auf die Startseite dieses Forums offenbart eine dramatische Entwicklung: Aktive User: 307, Besucherrekord: 12.517. Unzweifelhaft hat ein Wandel stattgefunden. Ein Wandel jedoch, dessen Ausmaß uns erst noch bewusst werden dürfte. Denn es geht hier nicht bloß um den Niedergang eines Forums für Magicspieler, sondern vielmehr um den Niedergang faktenbasierten Wissens selbst. Erkenntnis, nachprüfbare Fakten, ja Wissen scheinen zusehends irrelevant geworden zu sein. Um diese These zu bestätigen, müssen wir nur einen Blick nach Amerika werfen. Dort wurde vor zwei Wochen ein Mann Präsident, dessen Erfolg offen darauf begründet ist, Fakten für belanglos erklärt zu haben: Willkommen im Zeitalter des Postfaktischen...
Das Aussterben der Internetforen ist natürlich nur eines von vielen Symptomen dieser Entwicklung. Eines, das eben gerade für uns besonders augenscheinlich sein dürfte. Anderen mag diese Entwicklung auf anderen Ebenen auffallen: Massenweise posten Menschen Halbwissen über soziale Plattformen oder legen es gar nicht mehr darauf an, Dinge zu verstehen, sondern wollen diese allenfalls noch „anglotzen“ bzw. rasch konsumieren. Dieser veränderte Umgang mit der digitalen Welt hat weitreichende Konsequenzen. Nicht nur verhindert er eine inhaltlich vertiefte Auseinandersetzung, er zwingt auch uns dazu, Wissen bulimiehaft in uns hineinzufressen, um am digitalen Plus der Zeit bleiben zu können. Die Quantität scheint angesichts solcher Entwicklungen wohl endgültig über die Qualität gesiegt zu haben...
Sind wir also, die wir einst die Kinder dieses digitalen Zeitalters waren, inzwischen zu seinen Dinosauriern geworden? Ist unser Niedergang nur eine Randnotiz der Geschichte und der Komet, der uns vom multimedialen Antlitz der Welt tilgen wird, schon längst ins Sonnensystem eingedrungen? Ich befürchte, dass diese Frage mit einem „Ja“ beantwortet werden muss. Wer schnelle Informationen möchte, der nutzt Facebook-Gruppen. Allenfalls überfliegt er Foren noch dann, wenn sie ihm auf der ersten Google-Seite präsentiert werden. Das Konzept „Forum“ ist zum ungeliebten Kind einer Zeit geworden, in der es noch normal war, auf fundiertes Fachwissen im Notfall auch einmal 24 Stunden warten zu müssen. Die Aufmerksamkeitsschwelle der heutigen Neugeborenen (um in der Metapher zu bleiben) geht kaum mehr über wenige Minuten hinaus.
"Wie zynisch..." mag man nun anmerken, wenn man sich vor Augen führt, dass ich diesen Beitrag im Blog eines Onlineforums verfasse. Trotz dieses verständlichen Vorwurfs erscheint mir die zentrale Frage dieses Textes jedoch von ungebrochener Wichtigkeit: Sind wir hier die letzten Überlebenden einer aussterbenden Rasse von "Digitalnatives"? Ist unser Weg, Informationen zu erlangen, dem Tode geweiht – nur weil er noch aus der Zeit vor dem Web 2.0 stammt? Und daraus resultierend: Gibt es in der digitalen Welt da draußen noch Nachkommen, denen das Diktum der „Schnelligkeit“ noch nicht zur absoluten Größe geworden ist? Für die „postfaktisch“ vielleicht internationales Wort des Jahres, aber garantiert keine Lebenseinstellung ist?
Und zuletzt: Warum poste ich das überhaupt hier? Warum nicht irgendwo dort, wo ich den größten „Reach“ erreichen könnte? Warum nicht auf Twitter, in Facebook-Gruppen oder mit einem catchigen Bild bei Instagram? -- Ganz einfach: Nur hier kann eine Position, die sich scheinbar selbst überlebt hat, können Zweifel wie diese überhaupt noch verstanden werden, denn hier wende ich mich an Gleichgesinnte, an wirklich Interessierte, an vom Aussterben Bedrohte.
tl;dr
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