Dann gehe ich mal gegen den Strom und schließe mich dieser Aussage an :
Ich finde, dass es viel zu schnell geht jede Form der Strafe zu legitimieren, nur weil man den Bestraften scheiße findet.
Vielleicht bleibt das ja ein Einzelfall und hier sollte nur ein Exempel statuiert werden. Ob Einzelfall oder Präzedenzfall ist zum jetzigen Zeitpunkt noch schwer zu sagen. Für das Einsacken von MTGO-Sammlungen jedoch ist das, wie bereits angemerkt wurde, nicht das erste Mal.
Es ist etwas völlig verschiedenes ob ich jemanden angreife wegen etwas für das er nichts kann, als für etwas was jemand aus freien Stücken tut.
Nun, so wie ich es verstanden habe war der angebliche "Auslöser" für das Ganze, dass Jeremy vor einem halben Jahr die Motivation für Christine Sprankles Cosplay hinterfragt / kritisiert und Leuten davon abgeraten hat, für sie auf Patreon zu spenden. Damit greift er sie nach meinem Verständnis für ein Verhalten an (was der eigenen Kontrolle unterliegt), und nicht auf Basis demografischer Merkmale (für die man eben nichts kann, weswegen letzteres für mich unter "echte" Diskriminierung fiele).
Ich muss sagen, das Video des Professors war für mich das einzige von Jeremys "Gegenseite", das gut durchdacht und von der Form her angemessen war. Dass beide Seiten in der Debatte gerne aus dem Kontext reißen oder Argumente des anderen misrepräsentieren, scheint sowieso unvermeidlich.
Die Hauptfrage, die das Video des Professors stellt, ist wohl:
Wenn ich eine gewisse Zahl an Followern habe und jemand anderen kritisiere, kann ich es als fast garantiert betrachten, dass unter diesen meinen Followern auch ein paar Trolle sind, die dem anderen dann persönlich auf den Pelz rücken. Und wenn der andere ein Gegenvideo macht, kann der davon ausgehen, dass es diese Individuen auf seiner Seite ebenfalls gibt. Ist derjenige, der die Kritik äußert, damit auch verantwortlich für die Aktionen seiner Follower (dies scheint die Position des Professors zu sein)?
Oder gehe ich von der Prämisse aus, dass alle Menschen einen freien Willen haben (Jeremys Position) und somit jeder individuelle Follower von Jeremy oder dem Prof dafür verantwortlich ist, ob er nun lediglich kritisiert oder persönlich attackiert und mit doxxing droht?
Wer sich an dieser Stelle für mich völlig ins Aus geschossen hat, ist Mana Leek. Man kann jedem Satz aus seinem Video anhören, dass er hier lediglich persönliche Abneigung gegenüber Jeremy zum Ausdruck bringt und das so Überhand nimmt, dass er ihn am liebsten nicht nur online, sondern auch persönlich in den Ruin treiben möchte (Zitat "pummel this guy with legal fees"). Er ruft seine Follower offen dazu auf, nach allem möglichen zu suchen, wie man ihn nur irgendwie bestrafen kann. Wenn das dann nicht ebenfalls als "targeted harassment" zählt und darauf dann von WotCs Seiten nicht mit gleicher Härte reagiert wird, riecht das für mich nach Scheinheiligkeit.
Und das Nervige daran ist, dass ich mich als vorerst neutraler Beobachter von außen dann oft Leute verteidigen sehe, mit denen ich eigentlich gar nicht in so vielerlei Hinsicht einer Meinung bin. Da fällt dann gerne der Satz "Ich verteidige nicht deine Meinung, aber dein Recht, sie zu äußern". Ich halte nichts "Shitposting" und Trollen um des Trollens Willen; die eingangs formulierte Kritik von Jeremy an Sprankle kann ich jedoch nachvollziehen.
Das Problem bei den großen Verfechtern der freien Meinungsäußerung ist allerdings oft, dass sie sich nicht sonderlich darum sorgen, wie diplomatisch sie ihre Kritik vermitteln . Man kann ein und denselben kritischen Inhalt, auch an einer konkreten Person, nett und sachlich vermitteln oder man kann zusätzlich mit überflüssigen persönlichen Beleidigungen um sich werfen.
Wenn man eine Diskussion will, sollte man das ganze vielleicht so formulieren, dass der andere auch Dinge eingestehen kann, ohne komplett sein Gesicht zu verlieren. MTGLion, so sehr ich in ja oft als Boulevardpressen-Kanal betrachte, hat für mich sehr treffend gesagt, diese ganze Debatte brauche mehr Empathie. Dem stimme ich zu, denn das führt zu weniger Misverständnissen / weniger absichtlichen Misrepräsentationen, vielleicht auch zum ein oder anderen direkten Gespräch statt ewiger Response-Videos, und damit hoffentlich auch zu weniger Troll-Attacken.
Dabei ist das was sie fordern nicht das Recht ihre Meinung frei zu äußern, sondern das Recht darauf das ganze unwidersprochen tun zu können.
Ich stimme in Teilen zu, wir sind hier wieder bei dem alten Spiel "freedom of speech does not mean freedom of consequences". Meistens tritt das in Kombination auf mit "XY ist ein privates Unternehmen und kann daher tun und lassen, was es beliebt". Heißt: Natürlich können sie ihn bannen, ihm seine MTGO-Sammlung wegnehmen, weil das in den Terms of Service steht, und das läuft alles quasi unter "Hausrecht". Gegen die Terms of Service kann man dann halten, dass da praktisch alles reingeschrieben werden kann und dies noch lange nicht bedeutet, dass es vor Gericht standhält; aber als Endnutzer sollte man eben trotzdem grundsätzlich wissen, worauf man sich einlässt, wenn man da auf "akzeptieren" klickt. (Wie viele das in der Praxis durchlesen und wie viele einfach nur "weiter" klicken, ist dann wieder eine andere Frage.) Auch war es, wie ich es verstanden habe, Jeremys Entscheidung, seine DCI-Nummer mit seinem MTGO-Account zu verknüpfen.
Hier führt das Ganze letztendlich hinüber in eine politisch-ethische Debatte, ob das Prinzip "ein privates Unternehmen kann tun, was immer es will" denn überhaupt grundsätzlich so akzeptiert werden sollte. Meinungsfreiheit auf ein Unternehmen bezogen ist momentan zumeist eingeschränkter als Meinungsfreiheit aus staatlicher Sicht. Weswegen der Fantasy-Autor und "Skeptiker" David Stewart ja auch die Theorie aufgestellt hat, dass Zensur, sofern sie denn in Zukunft noch einmal drohen sollte, nicht von einem Staat, sondern von Unternehmen ausgehen werde.
Was für mich relativ klar ist, und das habe ich dieses Jahr übergreifend bei mehreren "Skandalen" gesehen:
Es geht meist in erster Linie gar nicht darum, herauszufinden, was wahr ist oder nicht; es geht darum, das Unternehmen / die Marke vor einem Imageschaden zu bewahren.
Er wurde für Dinge gesperrt, die sehr wohl etwas mit dem Spiel Magic The Gathering als Ganzes zu tun haben und die auf die MTG Community negativ rückwirken.
Deshalb ist es offenbar "egal", dass Jeremy sich ingame nichts hat zu Schulden kommen lassen, während auf der Pro Tour erwischte Cheater nur einen temporären Bann bekommen. Deshalb auch die unverhältnismäßig hohe Bestrafung von Jeremy im Vergleich zu besagten Cheatern - das hier hat einfach viel mehr Aufmerksamkeit bekommen, da war ja die halbe Skeptic Community auf YouTube mit drin. Also will WotC den Eindruck erwecken, dass sie hart durchgreifen.
All das basiert für mich auf dem Glauben an "Schuld durch Assoziation". Da distanziert man sich lieber mal vorschnell von jemandem, als ihn eine Sekunde zu lang zu verteidigen oder in Schutz zu nehmen. Langfristig jedoch führt so etwas mMn zur Paranoia.
Im Endeffekt bekleckern sich beide Seiten der Diskussion nicht gerade mit Ruhm und fügen damit der Marke Magic von links und rechts Schaden zu. WotC haben jetzt einen Märtyrer geschaffen, der nichts mehr zu verlieren hat und jetzt allen Dreck nach ihnen werfen wird, den er irgendwie finden kann. Mehrere andere kleinere Magic Channels (MTG Purple, Desolator Magic, Tasty Snackies etc.) haben sich auf Jeremys Seite gestellt und die Community scheint insgesamt sehr gesaplten. Die Skeptic Community hat mit darüber berichtet und einige versuchen die Sache zum nächsten Gamergate aufzublasen.
Und die "Gegenseite" hat sich meiner Wahrnehmung nach nicht ausreichend um einen Dialog mit Jeremy bemüht - mir sind nur die zwei Videos vom Professor und von Mana Leek bekannt. Der Bann als vermeintlich schneller Sieg ist ein Scheintriumph: Mich zumindest überzeugt man nicht gerade davon, dass man die besseren Argumente hat, wenn man die Diskussion weitgehend vermeidet und stattdessen den anderen vorwiegend mit Rauswurf, Konfiszierung vermeintlichen persönlichen Besitzes oder mit der Veröffentlichung persönlicher Informationen einzuschüchtern versucht.
Und deshalb habe ich hieran so meinen Zweifel:
Da WotC ein wirtschaftlich denkendes Unternehmen ist und damit nicht wirklich dazu verpflichtend moralisch zwischen richtig und falsch zu unterscheiden, nehmen Sie halt den einfachsten und kostengünstigsten Weg. Punkt.
Langfristig kann dieser Imageschaden nämlich weitaus mehr an Einnahmeverlusten verursachen. Und sei es nur wegen all der Leute, die deswegen jetzt weniger Geld in MTGO und/oder Magic Arena stecken, weil sie ihr Vertrauen in das Spiel verloren haben.
Aber Rudy von Alpha Investments hat sich ja schon früher darüber ausgelassen, dass seiner Ansicht nach WotC kurzfristigen über langfristigen Profit stellt...