Nachdem ich mir das Pippi aus den Augen gewischt habe, hat mich Torremonds Beitrag inspiriert auch meine Geschichte auszuschreiben.
Ich war ca 10/11 Jahre alt, so sechste Klasse, also 2003/4, auf Klassenfahrt. Da hat irgendein Kumpel in irgendeinem Laden in dieser anderen Stadt Magickarten gekauft und wusste wohl auch schon ansatzweise wie das Spiel geht. Ich habe mir die Bildchen angeschaut, ohne mich für das Spiel zu interessieren und hatte ein paar Myrs in der Hand. Schlagartig fand ich diese Kreaturen geil. Mir hat das Design total gefallen. Ich hatte solche Karten wie Copper Myr und myr Enforcer in der Hand und fand die artworks einfach nur unfassbar geil. Also habe ich mich auch irgendwie für "mehr" interessiert und mal nachgefragt wie das funktioniert.
Irgendwie bin ich durch Tauschgeschäfte mit anderen Gleichaltrigen an mehrere grüne Karten gekommen und habe mir ein ca 53 Karten Deck Mono- zusammen geschustert. Niemand wusste wieviele Karten in ein Deck gehören. Wir dachten auch noch, man dürfte jedes Land - nicht bloß basics - beliebig oft im Deck haben.
T1 spielte ich immer traproot Kami
T2 Slith Predator
T3 Killer Bees und von da an viele Giant Growth, Moss Kami und irgendwann meinen Enormous Baloth. Ich hatte später auf jeden Fall mal 29 Wälder in einem 60 Karten Deck. Es verlief eh jedes Spiel noch in irgendwelchen Boardstalls, da war man auf einmal der Gewinner wenn man mit den Killerbienen rüberfliegen konnte, während der Traproot Kami und der Baloth den Boden dicht gemacht haben
Die Killerbienen haben mir jedes Spiel gewonnen, die anderen aus meiner Klasse sind dagegen einfach nicht angekommen mit ihren anderen random Haufen.
Jede Pause sind wir aus dem Klassenzimmer geschossen und in die Aula gerannt, wo viele kleine Tische in einer großen Halle standen und man dort nice spielen konnte. Ein 8.Klässler hat uns gesehen, sich zu uns gesetzt und mich gefragt ob ich "Rares" habe. Ich habe seine Sprache nicht verstanden. "Seltene Karten, Junge!" - "was? kein Plan.."
Am Abend merkte ich, dass mir zwei Karten fehlten. Ich passte zunehmend besser auf.
Meine ersten Mitschüler begannen, Removal zu spielen! Wir nannten es nicht Removal, aber es waren Terror&Co, und meine Bienen starben. Ich war zum Umdenken angeregt. Ich senkte meine Kurve und überrannte schneller mit dem Slith und pump-spells.
Auch die Mitschüler wurden wieder besser, und so ging es ständig voran.
Ich stieß auf den Myr-Brutkasten, später auf das Lastvieh und ich schwöre, der Raum um mich begann sich zu drehen, ich sah wie sich alles zusammen fügte, ich war fucking Einstein, ich sah nur noch Formeln und Kombinationen und Möglichkeiten. Ich war ein Genie!
Tatsächlich konnten meine Mitschüler nichts gegen einen T6 Brustkasten into T7 Angriff mit 40/40 machen. Terror traf nicht, und die Kurve der anderen war eh zu low.
Natürlich habe ich auch noch das Playset Loxodon Warhammer dazu gespielt.
Jeden Tag saß ich zu Hause und habe locker 6 Stunden meine Decks getestet. Hunderte von Starthänden gezogen und sie fix durchgespielt, um heraus zu finden wieviele Länder ich brauche und was ein gutes Verhältnis ist.
Im Unterricht habe ich inzwischen nicht mehr Pokemon auf meinem gameboy gespielt, sondern meine Decks angeschaut und darüber nachgedacht, wie ich sie gleich in der Pause pilotieren werde.
Einmal habe ich meinen frisch erworbenen Mycosynth Golem vor mich auf den Tisch gelegt - hinter der Federmappe versteckt - und die ganzen 90 Minuten darüber nachgedacht, wie ich Affinity bauen würde, und wieviele Kreaturen ohne Affinity ich mir dank des Golems erlauben könnte. Nachtstahl-Koloss war auf jeden Fall eingeplant.
Wurde aber nichts.
Ich habe inzwischen meinen LGS gefunden, für den ich immer mit dem Bus bis in die Stadt fahren musste. Dort habe ich regelmäßig alle Rare-Ordner studiert und mir jede Karte eingeprägt. Internet gabs für uns Kids damals noch nicht. Ich war glücklich wenn ich einmal in der Woche für 30min ins Internet durfte, und mich dafür 10 Minuten übers Modem einwählen musste. Gute Internetseiten gabs damals entsprechend auch noch nicht, bzw waren sie nicht verbreitet/bekannt. Ich musste mir also alles einprägen.
Und wenn ich die Rare Ordner fertig studiert habe, habe ich mich ein paar Stunden an die Crap-Kiste gesetzt in der komplett unsortiert und zusammen geworfen alle wertlosen C/UC lagen. Ich las mir auch dort die meisten der Karten durch und versuchte sie mir einzuprägen. Ich las Krähenfüße und wieder hatte ich meinen Einstein Moment: Ich erinnerte mich an Todesgruben von Rath aus dem Rare-Ordner und bastelte innerhalb weniger Tage ein RB "control", das über Krähenfüße + Todesgruben von Rath einen Lock aufbaut, und dann über Fireball gewinnt. Dazu noch ein paar Gesichtsloser Metzler um auch mal Unzerstörbarkeit zu handeln und das Deck gewann einfach alles, weil meine Mitschüler jetzt zwar eine Menge Kreaturenremoval hatten, aber weder Artefakte noch Verzauberungen losgeworden sind.
Meine Mitschüler waren inzwischen nicht mehr so richtig competition, weil die natürlich auch nicht ansatzweise so viel Zeit wie ich in MtG investiert haben.
Ein alter Kumpel aus Grundschulzeit zog in meine Nähe und war zufälligerweise ziemlich deep into Magic. Und besser! Wir spielten viel, ich hatte einen Partner der bessere Decks hatte als ich (Umezawa's Jitte) und ich verlore auch immer mal Spiele, gewann aber auch viele. Sehr ausgeglichen.
Vorallem lernte ich dann aber einen ganz besonderen Typen kennen, ich nenne ihn mal M. Der war 1-2 Jahre über mir auf meiner Schule und ein absoluter MtG Narr. Wahrscheinlich der beste meiner gesamten Schule.
Ich spielte inzwischen das Orzhov Intro-Deck mit Skelettvampir und besserte das nach&nach aus. Ich legte Ghostly Prison rein, kaufte mir einen zweiten Skelett Vampir, mehr von den Haunt Fledermäusen, usw.
Im sogenannten Freizeitbereich der Schule, wo ich inzwischen jede Pause gespielt habe, aber nicht mehr mit meinen Mitschülern, sondern mit der geballten MtG Elite der Schule, wurden wir immer und immer besser. Der M gewann alles mit seinem Zombie-Tribe.
Dann stand das erste Turnier an. Der Freizeitbereich hat das organisiert, weil sie ja gesehen haben wie vernarrt wir Kiddies da jeden Tag gespielt haben.
Meine Mutter hatte mir verboten da hinzugehen, weil ich in einem "christlichen" Haushalt aufgewachsen bin, und die nicht wollte dass ich mit sowas wie dem Skelettvampir was zu tun habe. Ich willigte schauspielerisch ein, täuschte eine Verabredung mit einem "akzeptierten" Kumpel vor, und kam so aus dem Haus um zum Turnier zu gehen. Öfters, denn die Runden liefen über mehrere Tage.
Ich stand im Finale gegen M, meinem besten Zockerkumpel, gegen seine Zombies, gegen die ich noch nie gewonnen habe. Ich wollte ihm den Sieg eig schenken, aber wieso einfach aufgeben wenn man es auch einfach anständig ausspielen kann und danach genauso beglückwünschen kann. Ich gewann. Zum ersten Mal gegen M. Fair. Er war stolz auf mich. Ich war jetzt der beste der Schule. M und ich sammelten fortan zusammen. Jeden Tag trafen wir uns und spielten 4, manchmal 6 oder mehr Stunden Magic. Alle 3-4 Wochen kamen neue Decks zustande, wir diskutierten jede cardchoice und pushten uns enorm. Das war pure Synergie.
Meistens haben wir uns in der bereits erwähnten Schulaula getroffen weil die nachmittags noch offen stand, und wir spielten in der komplett leeren Schule bis in den späten Abend. Die Putzfrauen kannten uns irgendwann, wir zeigten ihnen auch stolz was wir da so vernarrt betreiben. Sie grüßten uns jeden Abend routiniert und wischten um uns herum den Boden und ließen uns dort spielen, bis sie ganz zum Schluss die Schule zuschließen mussten. Jeden Tag. Immer wieder.
Schule fand ich scheiße, alles langweilig. Mein 12 jähriges Gehirn hat am Tag locker 10 Stunden über MtG nachgedacht. Das das war spannend.
Inzwischen spielte ich Reanimator mit Geld das ich geklaut habe. Was kostet die Welt? ich war ein unterfordertes pubertierendes Kind. Ich kann von Glück sagen, nicht auf die schiefe Bahn geraten zu sein.
Im LGS bezahlte ich 12-jähriges Kiddie mit einem Fuffi. Interessierte den Laden nicht. Die kriegten ihr Geld.
Mit 13 hat mich meine Mutter von zu Hause rausgeworfen. Ich war sowas wie ein Problemkind. Mein Vater (geschiedene Eltern) hat mich notgedrungen aufgenommen. So zog ich quer durch Deutschland, alle meine Kontakte brachen ab. Neue Schule, neue Leute. Niemand spielte Magic mit mir. Meine Sammlung verstaubte. Irgendwann warf ich alles weg, weil ich die Idee hatte, dass mir vllt mein Suchthaftes Verhalten diesbezüglich im Weg stand.
Ich machte Abitur, obwohl ich Schule immernoch genauso hasste, aber anstatt Magic suchtete ich jetzt Basketball und verbrachte den ganzen Tag lang auf dem Freiplatz und spielte jeden Tag eben 6h Basketball, anstatt Magic. War ja auch besser für den Körper, vllt sogar für den Geist, obwohl man das so&so sehen kann. Magic ist so geil.
Ich hatte also keine Karten mehr, dafür inzwischen Abitur, saß im Mathestudium, obwohl ich Studium genauso scheiße wie Schule fand, und sah beim Durch-die-Stadt gehen diesen Laden, den ich immer irgendwie ignoriert hatte. Ich sah rein und sah, dass dort Magic gespielt wurde. Die Magic-Zeit lag inzwischen ca 10 Jahre hinter mir. Aber ich ging mal rein, das war Januar 2017, vor ca einem Jahr. Und ich begann dort wirklich jeden Freitag zu draften. Nach einigen Monaten war ich in der Community drin. Mit HOU begann eine Zeit, wo ich fast alles gewann. Im Juli/August oder wann genau HOU aktuell war habe ich glaube ich 6/8 HOU Drafts gewonnen, dazwischen noch den Gameday gewonnen. Dadurch wurde ich bissl bekannter im Laden und habe noch besseren Kontakt zu den eher competitiven Spielern gefunden. Im Dezember dann gleich nochmal den Gameday gewonnen. Hätte ich mehr Geld, könnte ich nicer durch Europa reisen und zB Team Sealed in Amsterdam und sowas mitmachen. Jetzt muss ich erstmal das scheiß Studium fertig machen, damit ich danach irgendwas mit geregeltem Einkommen betreiben kann. Für Magic halt Easy. Bis dahin zocke ich neben Drafts und zu Stoßzeiten Standard halt primär Pauper.
Was genau daran die "beste MtG Erfahrung" war? Alles. Einfach fucking alles.
Was war das für eine affengeile Zeit, in der ich mir noch besser einbilden konnte, gerade das Spiel gebrochen zu haben Scheiße, manchmal versuche ich mir absichtlich auch heute noch genau das einzureden, wenigstens kurz, einfach nur um nochmal kurz in Nostalgie zu schwärmen.
Magic ist für mich genau das, was auch Torremond beschrieben hat. Die einzige Konstante. Bei mir hat sich alles verändert. Meine Erziehungsberechtigten, mein Wohnort, meine ganzen Freundeskreise. Aber mein Gehirn brauchte immer irgendwie sowas wie Magic.
Mathematik ist auch ganz schön geil, aber Studium ist scheiße. Alles nur gefaked-te Probleme die ganzen Übungen und Aufgaben, und wenn man in einer Prüfung dann mal so richtig nice das Knowledge über den Tisch ausgekotzt hat, ist man danach verdammt dazu, es wieder zu vergessen, weil man nichts mit den skills anfangen kann. Richtige scheiß Einrichtung. Bei Magic hatte selbst meine 12 jährige Version schon einfach dieses Gefühl, dass keine investierte Minute verschwendet ist, weil ich ständig dazu lerne und ich jedes erworbenes Verständnis bei weiteren Decks wieder verwenden kann. Das ist genau das, wonach mein Gehirn so schmachtet.
Und das, zusammen mit all den anderen Jungs die alle auch ihre eigene story haben, zusammen am Tisch sitzen und unsere geliebten Karten drehen, einfach das Leben genießen und das tun was wir am liebsten tun. Das sind allesamt die geilsten Momente. Immer wieder.