Ich hab mir die Stunde mal gegeben, zugegebenermaßen zunehmend aggressiv.
Insgesamt wird sehr deutlich, dass der gute Herr Shields nicht überlegt "Wie kann ich dafür sorgen, dass Judges fair behandelt werden?" sondern "Wie kann ich meinen Traum eines Judge Programms irgendwie umsetzen?". Unterstützend merkt er noch an, dass er immer schon wusste, dass das so, wie es gemacht wurde, nicht geht. Told-you-so-boys sind seit jeher bekannt für ihre gemeinschaftlichen Problemlösungs- und Organisationsansätze...
Es gibt auch durchaus Details, die ein wenig hinter seine "I'm just your friendly clumsy neighborhood nerd"-Maske blicken lassen, da will ich ein bisschen drauf eingehen.
- Er erklärt sehr früh, dass WotC auf ihn zugekommen ist, weil das mit dem Judge Programm so nicht weitergeht. Der Initiator war demnach offensichtlich WotC, nicht er (wessen Interessen werden da wohl vertreten...). Dieser Satz wird schnell relativiert, weil er ausführt, wie er mit verschiedenen Publishern arbeitet und überhaupt treibende Kraft par excellence ist...
- Die Ausführung, warum er die JA nicht als NonProfit aufbauen kann, basiert im Wesentlichen darauf, dass "Konzerne halt so sind", da wäre nix zu machen. Die Tatsache, dass WotC hier Aktion verlangt hat, fällt unter den Tisch; aber das wird später noch ein interessanter Widerspruch. Hier erstmal: Offensichtlich hält er die Judge-Community nicht einmal für einflussreich genug, dass sie zu einem Konzern gehen und eine Lösung erarbeiten können. Er muss leider, leider eine 4Profit aufmachen. Sonst kann er leider kein Geld von Konzernen bekommen (aha! Die JA bekommt also Geld von Konzernen.)
- Als nächstes elaboriert er etwas über Unions (grob: Gewerkschaften). Ich kenne ich mich im amerikanischen Recht nicht gut genug aus, um das zu bewerten; nach einigen sehr schwachen Argumenten kommt er mit der Erklärung, eine Union könne nicht international sein (womit er vermutlich Recht hat), also wäre das nicht das richtige Format für die JA. Implizit geht er hier auf die Erwartung ein, die JA würde Judge-Interessen vertreten - denn warum sonst wäre eine Union ein relevantes Format? Dass er mit der Rechtsform Union gleichzeitig den Anspruch, Judge-Interessen zu vertreten, unter den Tisch fallen lässt, wird erst später deutlich.
- Danach heult er sich ein bisschen aus, dass Twitter und Reddit so gemein zu ihm sind; er könne ja nicht alle Probleme der Welt lösen. Dass er genau mit diesem Anspruch, zumindest bezogen auf Judges, an den Start geht, scheint ihn nicht zu tangieren. Dass er, wie auch bei sowohl den Fragen als auch seinen äußerungen über die böse negative Community, kein einziges Problem löst, das nicht mit seinem Business zu tun hat, ist zusätzlich auffällig.
- Die Frage, wann denn mit den standardisierten Tests zu rechnen ist, beantwortet er im Wesentlichen mit Copyright. Kurzfassung: Die Tests wurden von der Community entwickelt, gehören also den jeweiligen Autoren. Jetzt - nobel, nobel! - bezahlt er die Autoren, leider muss dafür alles neu entwickelt werden. Das ganze hat zwei Facetten. 1) Es wäre nicht möglich gewesen, die Copyrights der bestehenden Fragen glattzuziehen? Nirgendwo ist festgehalten, woher die Fragen kommen? Es ist wirklich nötig, alles neu zu entwickeln? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es da keinen einfacheren Weg gab. 2) Der vormalige Community-Effort wird jetzt durch ein "von oben" ersetzt. Bezahlte Autoren erschaffen das, was bisher eine Gemeinschaftsleistung war. Und das ist jetzt gut?
Meine Deutung: Die JA sichert sich hier das Monopol, indem sie bestehende, aber eben nicht von ihr kontrollierte Strukturen abschafft. Während er bei allen anderen Punkten herumheult, er habe zu wenig Zeit und Geld gehabt - für diesen Punkt hat beides offenbar gereicht. Das ist ja auch das wichtigste, denn wir alle wissen, dass WotC sich nicht vor Klagen retten konnte, was die Judge-Fragen betrifft...
Danach kommt wieder ein bisschen Mimimi über die böse Community, die seinen harten Effort nicht richtig würdigt, das ist verzichtbar, weiter geht es mit einer ziemlich klugen Frage aus dem Publikum (leider versteht man die Fragen nur sehr schlecht):
- Kommt es nicht zu Interessenskonflikten zwischen WotC, TO und der JA, konkreter, wenn ein Angestellter eines TO oder gar von WotC auch für die JA arbeitet? Shields erkennt sofort, dass er selbst hier als WotC-MA (ich hab nicht ganz verstanden, ob er weiterhin einer ist, bin auch zu genervt von dem Typ, um mir die Passage noch mal zu geben) und JA-Lead die Personifikation dieses Interessenskonflikts ist. Und seine Antwort ist hochinteressant: Die Branche ist so klein, dass es um zu wenig geht, als das nennenswerte Interessenskonflikte entstehen würden. WOW! Warum ist das so eine Bombe? Zunächst erinnern wir uns an die vorige Argumentation, bei großen Konzernen wäre das halt so mit den NonProfits, da könne man nix machen. Zweitens: Shields ignoriert einfach die Tatsache, wie sehr WotC von Judges abhängig ist (das ignoriert er übrigens die ganze Zeit). Während er oft ausführt, wie ein Event ohne Judges den Bach runtergeht, kommt er nicht einmal auf die Idee, dass auch WotC Interesse an funktionierenden Judge-Strukturen haben könnte (zumindest äußert er sie nicht). Als angehender oberster Interessensvertreter von Judges, der sogar die Independence als hohes Gut anpreist (gleichzeitig in unbestimmtem Maße einschränkt) lässt er alle Interessen von WotC als gottgegeben stehen. Er kritisiert sie nicht einmal. Und damit hat er Recht: Wenn man die Umsätze von WotC außen vor lässt, ist die JA in einem winzig kleinen Geschäftsfeld unterwegs - nämlich in einem, in dem ein paar Tausend Leute weltweit einen Hunderter im Jahr latzen. Diese Abkopplung der JA von Magic zeigt einerseits sehr deutlich, dass es ihm um sein Business, nicht um eine Millionen-Spielerschaft geht; und zweitens, dass er komplett ungeeignet ist, Judge-Interessen zu vertreten. Er sagt auch, dass "Ihr", also die Judges, seine Kunden sind. Nicht etwa, ihr wisst schon, die Küstenzauberer??? Ein weiterer Punkt gegen Konflikte ist übrigens, dass er persönlich diese lösen wird. YAY.
- Was er früher andeutet, kommt dann auch konkret auf den Tisch: Der "Rigorous Code of Conduct", also grob übersetzt und etwas polemisiert strenge Benimmregeln. Diese sollen nämlich Konflikte verhindern. In Amerika ist es im Moment üblich, einen strengen CoC vorzuschieben, um zu zeigen, wie sozialverträglich ist, z.B. nach den Sexismusvorwürfen, die im Moment in jedem Unternehmen grassieren (ich kenne die amerikanische Kultur nicht gut genug, um diese zu bewerten). Einfach ausgedrückt: Wer in Amerika einen strengen Code of Conduct hat, gehört zu den Guten. Leider ist das aber nicht unbedingt verträglich mit internationalen Gebaren: Während Amerika nämlich eine ausufernde Verträge-gegen-Klagen-Kultur hat, wird in Europa so etwas dem Gesetzgeber überlassen, in Indien interessiert es kein Schwein und in China ist das kulturelle Agreement deutlich wichtiger als geschriebene Regeln. Dass der CoC außerdem oft nur ein Feigenblatt ist, hinter dem Konzerne die Unwilligkeit verstecken, transparente Strukturen aufzubauen, kommt hinzu. Statt also in irgendeiner Weise eine vernünftige Struktur oder Systematik vorzustellen, die Probleme transparent machen würde und auch Verantwortlichkeiten benennt, schreibt er einen CoC. Thanks, Obama.
- Von den anwesenden Judges kommt der Vorschlag, dass die Judge-Community über Dinge abstimmen sollte, z.B. darüber, welche Karten als Judge-Promos aufgelegt werden. Der Vorschlag ist mutig und wird vermutlich von WotC abgelehnt, wie Shields auch ausführt. Aber! Hier offenbart Shields wieder seine Zugehörigkeit. Zunächst führt er aus, dass das Judge Program entgegen der Wahrnehmung einzelner nie demokratisch war. Die Erklärung, dass die Community bei der JA jetzt mehr mitzureden hat, fehlt. Komplett. Ich lehne mich wohl nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich hier heraushöre "Das Judge Program war nie demokratisch, warum sollte ich die JA demokratisch anlegen?". Auch die Tatsache, dass er die Idee komplett abblockt und nicht soetwas sagt wie "wenn wir mal etabliert sind, können wir so etwas vielleicht durchsetzen" oder so, verrät, dass seine Vision nichts mit eine Verstärkung der Position der Judges zu tun hat.
Vor dem Video war ich mir unsicher, ob WotC Shields und die Judges verarscht, oder ob WotC und Shields zusammen die Judges verarschen. Nach dem Video ist sehr deutlich geworden, dass letzteres zutrifft. Shields baut hier einfach in tiefstem Eigeninteresse sein Business auf, er bekommt dafür von WotC etwas Schützenhilfe gegen die Aussicht, dass das Judge Program in Zukunft selbstfinanziert läuft. Seine Träume, auch in anderen Spielen E-Sports Fuß zu fassen, sind auch völlig offensichtlich nur an seiner eigenen Business-Entwicklung orientiert. Der Kunde ist in der gesamten Kommunikation der Judge, nicht der Spieleanbieter. Interessen muss der Judge gegenüber der JA vertreten, die JA vertritt den Judge gegenüber den Anbietern offensichtlich einfach mal gar nicht.
Nee, ist n tolles Programm, Tim. Da will man doch gleich Judge werden...
Bearbeitet von cheff, 12. August 2019 - 14:07.