Es gibt aber umgekehrt auch jede Menge Leute, die mehr als genug Geld für Magic zur Verfügung hätten, aber deren Schmerzgrenze auch bei bestimmten Single-Preisen erreicht sind - weil ihnen die kleine Stimme im Hinterkopf sagt, dass ein einzelnes Stück Pappe objektiv gesehen keine oberen zweistelligen Beträge wert sein kann.
Es gibt bekanntlich auch Reiche, die zu Aldi fahren.
Die Premium-Produkt-Argumentation zieht für mich nur bei "Bling"-Produkten, die der normale Spieler nicht braucht, um ein bestimmtes Format zu spielen, wie z.B. den Godzilla Basics oder Collector Boostern. Nicht jedoch, wenn diese "Premium"-Produkte die einzige Form sind, wie Karten überhaupt reprinted werden - weil das nämlich an ihren Preisen so gut wie gar nichts ändert, auf jeden Fall nicht langfristig.
Die Sportmetapher ist ebenfalls ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen, weil höherwertiges technisches Equipment (für Sport, Musik, PCs oder was auch immer) meist mit einem höheren Materialwert oder zumindest höherem Produktionsaufwand einhergeht. Einen Jace TMS zu drucken kostet nicht mehr als ein Standardland, weil die Pappe die gleiche ist.
Außerdem kann durch das Internet jeder die Profilisten einsehen, sodass du beim FNM potentiell jederzeit in die gleiche Liste hineinlaufen kannst wie auf einem GP. Je weniger Läden Modern Events hosten, desto stärker wird der Effekt, weil sich dann die Modernspieler stärker in diesen Läden konzentrieren und die Decks entsprechend kompetitiver werden. Vielleicht spielen die FNM-Spieler diese Listen dann nicht so gut wie die auf dem GP, aber das Material des Decks, die Grundvoraussetzung, um es zu spielen, ist dasselbe.
Du kannst also nicht mit einer Budgetversion oder einem Homebrew zum FNM gehen und davon ausgehen, dass du auf jeden Fall eine bessere Chance hast als auf einem großen Turnier. Das ist etwas anderes, als wenn du in deinem lokalen Fußballverein spielst vs. gegen Nationalspieler. Natürlich haben die Nationalspieler die besseren Schuhe als dein Team, aber das ist nicht der Grund, warum sie euch schlagen würden, sondern ihre Skills. Du musst dir bei lokalen Gegnern keine Sorgen machen, dass sie dich schlagen, bloß weil sie ebenfalls in Profischuhe investiert haben.
Natürlich gibt es diese David-gegen-Goliath-Matches, wo ein erfahrener Spieler mit einem Budgetdeck einen reichen Pinkel mit dem Tier 1-Deck schlägt, der es suboptimal pilotiert (wie der Professor von TCC es mit seinem Meervolk-Deck geschafft hat). Aber bloß, weil solche Fälle existieren, heißt das nicht, dass sie häufig sind.
Wer nicht den Geldbeutel für Legacy oder Modern hat muss halt T2 spielen.
Super, wer nicht genug Geld auf einen Schlag auf ein Deck droppen kann, soll das Format spielen, das ihn langristig zwingt, noch viel mehr Geld auszugeben?
Eine Zeit lang war es zumindest mal möglich, ein Eternal-Deck "auf Raten" zu kaufen - sich also nach und nach die Staples zusammenzusparen. Da nur wenige Karten stark genug für Eternal-Formate waren, waren diese zwar entsprechend teuer, aber die Decks veränderten sich selten. Ein Deck, das mehr oder weniger ein Monolith ist, kann man sich relativ verlässlich zusammensparen - wenn man diesen langen Atem hat.
Das ist aber spätestens seit dem neuen FIRE-Konzept, wo bewusst versucht wird, neue Standard-legale Karten so stark zu machen, dass sie auch Eternal-Formate erreichen, nicht mehr zielführend. Denn in jedem Set kommen neue Karten heraus, die so stark sind, dass sie z.B. Modern wieder komplett auf den Kopf stellen können.
Man hat sich also vor ein paar Jahren bestimmte Karten eines Decks zugelegt, aber ehe man das komplette Deck zusammen hat, kommt etwas Neues, Stärkeres, das diese Karten aus dem Deck verdrängt. Da dann keine Nachfrage mehr nach den Karten besteht, die früher diese Slots im Deck besetzten, wird man sie dann auch nicht mehr zum Einkaufspreis los - massiver Wertverlust, ganz ohne Reprints der betroffenen Karte, sondern einfach nur, weil der Powercreep etwas Besseres hervorgebracht hat.
Ja, niemand hat ein "Recht", ein bestimmtes Format zu spielen, das man einfordern könnte. Es gibt allerdings auch das Prinzip "Der Kunde ist König". Wizards verhalten sich seit Jahren, als seien sie die Könige, die gönnerhaft in viel zu geringem Umfang Reprints ankündigen, und die Fans sind das Volk, das ihnen huldigen und dankbar sein darf, dieses Spiel spielen zu dürfen. Einem König kann sein Volk nicht weglaufen - einer Firma ihre Kunden aber schon.
Viele sehen es so, als würden WotC die langfristige Stabilität des Spiels (basierend auf der Zufriedenheit der Spielerbasis) für kurzfristige Profite opfern.
Ich persönlich denke, Wizards' Verständnis einer "langfristigen" Strategie ist, die Nachfrage für bestimmte Staples konstant hoch zu halten, sie also nie wirklich zu befriedigen, sodass sie mit bestimmten Karten verlässlich neue Reprint-Sets verkaufen können, ohne dass sich wirklich etwas ändert. Das funktioniert solange, bis eine kritische Masse den letzten Halbsatz realisiert.
Wenn du heiß auf Modern bist (Legacy lass ich mal außen vor wegen Reserved List), aber WotC schieben dich in die Friend Zone und lassen dich "am langen Arm verhungern", gibst du dir vielleicht eine Zeit lang selbst die schuld ("Ich muss Geduld haben", "Ich muss mehr Geld verdienen", "Ich muss andere Hobbies zurückfahren zugunsten von Magic" etc.). Aber irgendwann betrachtest du es als Lost Cause und sagst dir "screw it, ich spiel einfach Commander"
.
Dummerweise haben WotC natürlich auch bemerkt, dass EDH jetzt das populärste Format ist, und fangen seit den Brawl-Decks letztes Jahr auch hier an, exklusive neue Staples zu drucken, die alte Karten (Manarocks sowie die Commander selbst) mit ihren neuen "made-for-EDH"-Karten aus den Decks zu verdrängen. Glücklicherweise gibt es beim regulären EDH den Social Contract, d.h. solange man sich mit seiner Spielgruppe einigen kann, muss man nicht bei jedem Standard-Set am Ball bleiben - weil das Format eben nicht wie kompetitive Formate (inkl. cEDH) auf absolutes Win Maxing ausgelegt ist.
Bearbeitet von Strato Incendus, 01. Juni 2020 - 10:21.